Am 11. Juni wollen Neofaschist*innen aus ganz Europa in Wien eine Demonstration abhalten. In ihren Augen steht Österreich auf einem Scheideweg: entweder arbeiten „Multikultis“ und „Gutmenschen“ weiter an der „Zersetzung des Volkskörpers“ oder es kommt zu einer „patriotischen Revolution“ nach dem Vorbild Ungarns. Neben dem Rechtsruck in verschieden europäischen Ländern wie Ungarn oder Polen fühlen sie sich auch durch das Wahlergebnis der österreichischen Bundespräsidentschaft in ihrer wahnhaften Ideologie bestärkt. Der Aufmarsch in Wien ist für die Neofaschist*innen aus Europa eine symbolische Machtdemonstration. Grund genug für uns als Antifaschist*innen diesen Versuch eine praktische Abfuhr zu erteilen und den Aufmarsch der „Identitären“ zu verhindern!
Mit diesem Text wollen wir einerseits aufzeigen, dass dem völkischen Weltbild der „Identitären“ nicht nur ein Rassismus und autoritärer Nationalismus innewohnt (wie schon an anderer Stelle ausführlich dargestellt wurde), sondern auch ein massiver Sexismus und Antifeminismus. Andererseits wollen wir einen Blick auf die sicherheitspolitische Debatte um „No-Go Areas“ und die Kulturalisierung sozialer Konflikte werfen, die derzeit die mediale Berichterstattung in Österreich beherrscht und damit rechtsextremen Gruppen eine Steilvorlage für ihre Propaganda liefert.
Völkischer Krieg um die Gebärmütter – Gegen Sexismus im Alltag und im Staat!
Seit den massiven sexualisierten Übergriffen in der Silvesternacht in Köln, versuchen sich Rechte als „Frauenschützer“ zu inszenieren. Auffallend hierbei ist dass diejenigen, die nun am lautesten nach dem Schutz für Frauen schreien, Gewalt gegen Frauen* ignorieren, wenn sie diese nicht ethnisieren und „Nordafrikanern und Arabern“ zuschieben können. Die Thematisierung von Sexismus und patriarchalen Strukturen dient hier – auch dann wenn der Antisemitismus unter Migrant*innen zum Thema wird – der Projektion nach Außen, um sich selbst davon rein zu waschen. Oftmals wehren sich eben die, die nun die „Beschützer“ von Frauen geben, entschieden gegen deren grundlegensten bürgerliche Rechte. Dazu zählen das Recht über den eigenen Körper zu bestimmen oder etwa das Recht auf gleiche Entlohnung. Der Schutz für Frauen wird darüber hinaus unter das völkischen Primat gestellt: nur „österreichische“ oder „europäische“ Frauen sollen diesen Schutz genießen. Der Rest erscheint im völkischen Weltbild wiederum als Bedrohung der eigenen Volksgemeinschaft, was sich auch im Diskurs der „türkischen Gebärmaschinen“ sichtbar macht. Die Antwort darauf ist eine völkische „Familienpolitik“, in der Frauen* wiederum als Gebärmaschinen wahrgenommen werden. Ihr Körper wird darauf reduziert den „Ethnozid“ durch möglichst viele „eigene“ Kinder aufzuhalten. Frauen* erscheinen als wehrlose Objekte, welche von Fremden bedroht werden. Dieses Ressentiment ist stark sexuell aufgeladen. Die Reinheit des Bluts des „Volkskörpers“ ist direkt mit Sexualität und deren Kontrolle verbunden, da sich über sie entscheidet, wer Teil der Gemeinschaft wird und wer nicht. Folglich liegt ein Hauptaugenmerk auf der Kontrolle der weiblichen Sexualität der In-group und der männlichen Sexualität der Out-group. Letztere wird als übertrieben triebhaft imaginiert, also als besonders bedrohlich. Bei der Sexualität der Frauen* der In-group, wird nur Heterosexualität als vollwertig erachtet, kann doch auch nur so der „rassisch reine“ Nachwuchs sichergestellt werden.
Hier trifft sich die faschistische Sorge um die als weiblich gedachte Gebärfähigkeit der völkischen Frau mit den Interessen staatlicher Bevölkerungspolitik. Das staatliche bevölkerungspolitische Interesse, Kontrolle über Quantität sowie Qualität der Gesamtbevölkerung zu erlangen, um die „optimale“ Reproduktion der nationalen Gemeinschaft zu sichern, bedient sich einer breiten Palette an patriarchalen Regulierungs- und Disziplinartechniken. Das bekannteste davon ist wohl das Verbot von Abtreibungen, welches immer noch im österreichischen Strafgesetzbuch steht. Die faschistische und staatliche Disziplinierung der Frauen*körper weist hier bloß einen graduellen, kleinen prinzipiellen Unterschied auf. Während völkische Nationalist*innen die Frage nach Bevölkerungswachstum rassistisch beantworten, ist für Regierungsstellen „gemanagte“ Migration auch eine Option. Der subjektlosen Herrschaft des Patriarchats, welche sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat, stellt die extreme Rechte das Bild der „natürlichen Ordnung“ eines patriarchalen, von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen durchzogenen, Familienmodells entgegen. Wenn sich diese gegen jede Emanzipation gerichtete Forderung gesellschaftlich durchsetzt, stellt das einen massiven Angriff auf erkämpfte Frauen*rechte dar.
Die große Mehrzahl an Frauen* bekommen jeden Tag auf der Straße, in der Uni, in der Arbeit, beim Fortgehen zu spüren was es heißt, als Frau erkannt zu werden. Sexismus und sexualisierte Gewalt sind weiterhin alltäglich. Die Städte für Frauen* und alle anderen, die im öffentlichen Raum von Gewalt durch Männerbanden bedroht sind, sicherer zu machen, heißt, dieser Gewalt überall, an jedem Tag im Jahr entgegenzutreten. Wer von der sexualisierten Gewalt an Silvester und am Praterstern redet, aber von männlicher Dominanz und Rassismus, von Homophobie und Transfeindlichkeit nichts hören will, ist kein Verbündeter im Kampf gegen die patriarchale Zurichtung der Gesellschaft. Betroffene von Sexismus brauchen echte Unterstützer*innen und keine falschen Freunde. Von (Hetero) Sexismus Betroffene sind keine wehrlosen Objekte, sondern wehren sich, da sie es tagtäglich müssen!
Sexismus, Rassismus und Sicherheitspolitik – Gegen die Kulturalisierung des Sozialen!
Praterstern, Brunnenmarkt, U6, Drogen Hotspots, Eisenstangenmörder, Kriminalität – das sind nur einige Schlagwörter, die derzeit die mediale Berichterstattung über die „No-Go Areas“ in der österreichischen Bundeshauptstadt dominieren. In die Debatte mischt sich ein rassistischer und chauvinistischer Sicherheitsdiskurs, der soziale Konflikte kulturalisiert. Obdachlose, Dealer, Suchtkranke und viele andere Menschen, die nicht ins angestrebte Stadtbild passen, werden hier vor allem als Bedrohung und potentielle Täter (nicht nur von sexualisierter Gewalt) wahrgenommen. Die Antwort ist dann nicht mehr solidarische Hilfeleistungen für Betroffene von sozialen Ausschluss (mit all den Folgen die dieser bewirkt), sondern mehr Polizei und Repression.
Kriminalität, also alle Praktiken und Verhaltensweisen die vom Staat kriminalisiert werden, wird zunehmend nicht mehr als ein soziales Phänomen angesehen sondern als ein moralisches. Kriminalität erscheint so als blinder Akt des Bösen von moralisch verkommenen Akteur*innen und wird auf diese Weise individualisiert. Dementsprechend geht es auch nicht um die Bekämpfung von Armut, Benachteiligung und Ausschluss, sondern um sicherheitspolitische Techniken der sozialen Kontrolle und Überwachung, des Strafens und Ausschließens. Dies korrespondiert mit dem neoliberalen Rückbau sozialer Sicherungssysteme, was einerseits zur Verschärfung sozialer Ungleichheit führt und andererseits zu einer Verunsicherung breiter Schichten. Dieser als unspezifischen Bedrohung wahrgenommen Entwicklung, wird wiederum mit einer sicherheitspolitischen Verwaltung des bestehenden Elends beantwortet. Benachteiligte erscheinen in dieser die Gesellschaft durchziehenden Perspektive nicht mehr als Mitmenschen, denen Solidarität und Unterstützung entgegengebracht werden sollte, sondern als potentielle Täter. Ganz zu Schweigen von den haarsträubenden Ressentiments die gegen Obdachlose, Arme und Suchtkranke gehegt werden.
Neben dieser Individualisierung von Kriminalität, die den Zusammenhang von Armut, Benachteiligung und Kriminalität übersieht, werden soziale Verhältnisse zunehmend kulturalisiert. In der mit der Kulturalisierung einhergehenden Naturalisierung und Verewigung sozialen Verhaltens – dem „wir“ oder „die sind halt so“ – liegt auch eine kapitalistische Funktion. Soziale Konflikte werden in kulturelle umgedeutet. Die als Kulturen gegenübergestellten und als solche „respektierten“ gesellschaftlichen Widersprüche sind damit nicht mehr bekämpfbar, sondern werden als kulturelle Eigenheiten angesehen. Die Andersartigkeit von Menschen folgt nach dieser Logik dann nicht mehr aus deren sozialer Situation, sondern aus ihrem kulturellen Hintergrund.
Das ist auch der Angriffspunkt der extremen Rechten. Diese beschwören einen „Kampf der Kulturen“ und nutzen jedes ihnen passende Ereignis um es rassistisch auszuschlachten. So fordern sie die Abschiebung „krimineller Ausländer“ und erhalten für solche Positionen Applaus aus großen Teilen der Bevölkerung. Damit werden völkisch-rassistische Postionen und die dahinterstehenden und immer wieder in Parolen gepackte Forderung nach einer territorialen Zurückeroberung und gewaltsamen Vertreibung der Gemeinschaftsfremden, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Thematisierung der „Verbrechen der Anderen“, die durch ihre Doppelmoral besticht, hat in der extremen Rechten eine lange Tradition. Neben Projektion und Propaganda geht es hier auch um die Entlastung und die Reinwaschung des „Eigenen“. Es geht weniger um die Tat an sich und schon gar nicht um die Opfer, sondern um eine Instrumentalisierung von Vorfällen für völkisch-nationalistische Zwecke.
Never let the fascists have the streets – Für ein gutes Leben für alle!
Die Ausgeschlossenen und Marginalisierten sind aber auch nicht automatisch ein revolutionäres Subjekt, sondern oft genug selbst Träger*innen reaktionärer Ideologien (das hat nicht nur zuletzt die Bundespräsidentschaftswahl aufgezeigt). Die „objektiven Verlierer*innen“ des Bestehenden müssen nicht automatisch das subjektive Interesse am Besseren haben. Im Supermarkt der reaktionären Ideologien gibt es verschiedene Angebote wie Islamismus, Nationalismus oder eben Rechtsextremismus, die miteinander konkurrieren. Doch diese sich angeblich so feindlich gegenüberstehenden Ideologien sind sich näher, als sie es von sich selber glauben möchten. Es geht um die autoritäre Befriedung gesellschaftlicher Widersprüche und um den Ausschluss derer, die nicht zum repressiven Kollektiv dazugezählt werden.
Einer linksradikale Perspektive, die über antifaschistische und anti-sexistische Abwehrkämpfe hinausweisen will, weil es mit der Emanzipation des Menschen von Herrschaft, Ohnmacht und Unterdrückung doch noch etwas werden soll, sollte sehr daran gelegen sein reaktionäre Ideologien in die Schranken zu weisen und Ideologiekritik in den Fokus der Analyse zu stellen. Denn auch wenn der Kapitalismus eine jeder Vernunft spottende Veranstaltung ist, welche die Menschen zutiefst entstellt und zurichtet, ist das keine Entschuldigung dafür reaktionäre Ideologien anzunehmen. Die Reflexion über diese unvernünftige Gesellschaftsordnung ist die Voraussetzung für die Überwindung der falschen Verhältnisse. In unseren kollektiven Kämpfen gegen Sexismus und Rassismus, gegen patriarchale Strukturen und rassistischen Ausschluss, werden Risse des herrschenden Konsens sichtbar, die es zu erweitern gilt. Denn ein gutes Leben für alle ist nur mit der Abschaffung des Kapitalismus und des Patriarchats zu haben.
In diesem Text werden verschiedene Formen verwendet, um Geschlechterverhältnisse sprachlich darzustellen. Wir verwenden /Frau/ bzw. /Mann/, wenn wir uns auf reaktionäre Verhältnisse beziehen, um deutlich zu machen, dass in eben dieser Logik Geschlecht stets binär und biologistisch gedacht wird. In diesem Zusammenhang verwenden wir auch fallweise das generische Maskulinum, um die sprachliche Reproduktion hegemonialer Männlichkeit innerhalb der oben genannten binäre Sichtweise aufzuzeigen.
/Frau*/bzw. /Mann*/schreiben wir hingegen, um Geschlecht sprachlich weiter fassen zu können: es sollen damit alle Menschen berücksichtigt werden, die sich dem jeweiligen Geschlechterkonstrukt zugehörig fühlen – unabhängig davon, welches ihnen aufgrund der gesellschaftlichen Normativität zugeschrieben wird. Wenn wir uns auf keine spezifischen Geschlechtskonstrukte beziehen, sondern alle Gender meinen, verwenden wir das Gender-Sternchen.